Vom LinkedIn Kommentar zum Perspektivwechsel

„Ich würde es begrüßen, wenn Fragen zur Vereinbarkeit von Familie und Karriere auch mal Männern gestellt werden.“, so Carsten Langhammer unter eines unserer Beiträge auf LinkedIn. Es stimmt – die Frage nach Vereinbarkeit und Beruf wird häufig ausschließlich nur Frauen gestellt. Wir haben drei Männer in den unterschiedlichsten Lebenssituationen befragt.

 

Henry Reichel, ist seit 23 Jahren bei der Gothaer im Versicherungsvertrieb tätig, 13 davon als Regionaldirektor. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen, ist er als Nachwuchsaußendienst gestartet. Durch ein Stipendium hat er den Versicherungsfachwirt mit dem Schwerpunkt Haftpflicht und Rechtsschutz erlangen können und anschließend auch den Versicherungsbetriebswirt. Während seiner Zeit als Verkaufsleiter Leben und als Orgaleiter konnte er viele Erfahrungen im Exklusivvertrieb gewinnen, welche ihn dann auf seine spätere Rolle, zunächst als Leiter der Vertriebsdirektion Rostock und heute als Leiter der Regionaldirektion Berlin, vorbereitet haben.

Wie sieht Dein Familienmodell aus?

Ich bin alle zwei Wochen alleinerziehender Vater von drei Kindern. Auch wenn sich die Lebenswege einmal ändern, war es mir äußerst wichtig, dass egal was kommt, ich mich so organisieren muss, sodass ich am Leben meiner Kinder teilhabe und für sie da bin. Deshalb haben wir uns für ein paritätisches Betreuungsmodell entschieden. Das bedeutet, dass die Kinder alle zwei Wochen, für eine Woche bei mir leben. Dementsprechend muss ich mich strukturieren, organisieren und es müssen Zeitpläne gemacht werden. Die Kinder stehen für uns immer im Mittelpunkt.

 

Welche Herausforderungen bringt dieses Modell?

Allein der Beruf an sich ist ein Fulltime-Job. In meiner Funktion als Regionaldirektor agiere ich wie ein selbstständiger Unternehmer. Mein Privatleben und mein Beruf verschmelzen miteinander. Ich habe nicht nur die Verantwortung gegenüber meiner Familie, sondern auch gegenüber meinem Team und unseren Vertriebspartner*innen. Wichtig ist es, hier das Gleichgewicht zu halten. Ein Selbstläufer ist es natürlich nicht, denn dies zu organisieren ist nur möglich, wenn man strukturiert und diszipliniert bleibt.

Das Gebiet meiner Regionaldirektion ist äußerst groß und dementsprechend bin ich auch viel unterwegs. Wenn die Kinder bei mir sind, versuche ich Touren durch das gesamte Gebiet zu vermeiden, und bin hauptsächlich im Norden der Region unterwegs, sodass ich nah an meinem Zuhause bin und die freie Zeit, die ich nach der Arbeit habe, auch effektiv mit meinen Kindern nutzen kann. Es klappt natürlich nicht immer, da es auch mal sporadische Termine gibt, welche z.B. in Köln stattfinden und ich weiß, dass ich es nicht rechtzeitig schaffe, um 18 Uhr Zuhause zu sein. Hier müssen Lösungen geschaffen werden und diese vereinbare ich mit meinem sozialen Umfeld. Alle Termine, die ich selbst beeinflussen kann, lege ich mir in der Kinderwoche so, dass sie auch etwas von mir haben. Neben meinem Job und der Familie bleibt natürlich nicht allzu viel Zeit für Freizeit. Diese nutze ich aber für Sport. Ich bin leidenschaftlicher Crossfitter und kann hier neue Energien für die Herausforderungen im Job und Alltag sammeln.

 

Wie reagiert Dein berufliches Umfeld darauf?

Man muss mit diesem Thema offen umgehen. Das ist das Wichtigste. Mein Team weiß immer Bescheid, wenn die Kinder bei mir sind, da ich dies auch in meinen Kalender eintrage. Ich mache da kein Geheimnis draus. Das Verständnis und die Akzeptanz ist sehr groß und es bedeutet ja auch nicht, dass wenn ich aufgrund der Kinderbetreuung früher Zuhause bin, nicht erreichbar bin, oder nicht arbeiten könnte. Ich bin trotzdem für mein Team und meine Vertriebspartner*innen da, auch wenn die Familie in dem Moment im Fokus steht.

Carsten Langhammer, ist 27 Jahre alt und arbeitet in der Konzernorganisation. Als Wirtschaftsinformatiker brennt er für digitale und zukunftsgerichtete Themen. Privat ist er ein absoluter Familienmensch und genießt gerne die Zeit mit seiner Frau, ihren Verwandten und Freund*innen.

Findest Du, dass Männern zu selten die Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestellt wird?

Definitiv, ja. Ich sehe die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Thema, mit dem sich alle Personen, die eine Familie gegründet haben oder gründen möchten, unabhängig ihres Geschlechts, beschäftigen müssen. Natürlich entscheidet jede Partnerschaft für sich wie sie mit dem Thema umgeht, allerdings denke ich, dass grundsätzlich von einer gleichberechtigten Lösung ausgegangen werden sollte. Wer sich wieviel Elternzeit nehmen kann, ist häufig eine finanzielle Entscheidung. Durch ein stark gedeckeltes Elterngeld, welches sich an den durchschnittlichen Gehältern vor der Elternzeit orientiert, ist für viele Familien die Frage welcher Elternteil sich den größten Teil der Elternzeit nimmt, bereits vorab entschieden. Meine Frau und ich wissen bereits, dass ihr Gehalt als studierte Sozialarbeiterin im öffentlichen Dienst und mein Elterngeld (Höchstsatz) nicht ausreichen würden, um unser Leben in Köln finanzieren zu können. Dadurch, dass auch in der heutigen Zeit viele Berufe „klassisch männlich“ oder „klassisch weiblich“ konnotiert sind, werden Frauen häufiger in die Situation gebracht, dass sie (aus einer rein finanziellen Perspektive) den Großteil der Elternzeit nehmen müssen.

 

Was würdest Du Dir wünschen um gleichermaßen wie Deine Frau, auch in Elternzeit gehen zu können?
Ich würde mir wünschen, dass die Berufswahl nicht auf Grund von Rollenklischees entschieden wird, sondern jede Person, unabhängig ihres Geschlechts, den Beruf ausüben kann, den sie gerne ausüben würde. Mit einer solchen Offenheit in unseren Rollenverständnissen und Berufswahlmöglichkeiten, würde auch die Offenheit der gerechten Verteilung von Elternzeit und Elterngeld einhergehen – davon bin ich überzeugt.

Andreas Borch, ist Agenturberater in der Regionaldirektion München. Andreas hat 2 Kinder (7 Monate und 2 ½ Jahre) und ist aktuell in Elternzeit. Ihn zeichnet die Bereitschaft zur Veränderung aus, ist immer offen für Neues, zielstrebig und netzwerkt gerne.

 

Findest Du, dass Männern zu selten die Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestellt wird?

Aus meiner Sicht ja. Es wird oft vorausgesetzt, dass die Frau sich um die Kinder kümmert und der Mann geht arbeiten. Das passt aus meiner Sicht nicht mehr in die heutige Zeit.

 

Wie sieht für Dich als Familienvater die Vereinbarkeit von Familie und Karriere aus?

Seit der Geburt meiner Kinder haben sich meine Prioritäten geändert. Meine Kinder sind für mich das Wichtigste und ich möchte erleben, welche Fortschritte meine Kinder machen und mit Ihnen Zeit verbringen. Ich arbeite gerne und liebe meinen Job. Dennoch schaffe ich mir Freiräume, dass ich auch Zeit mit meinen Kindern verbringen kann. Meine Lebensgefährtin hat ebenfalls einen sehr herausfordernden Job in der Wissenschaft. Wir können das als Familie nur als Team schaffen.

 

Was erwartest Du von Deinem Arbeitgeber bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Flexibilität in der Arbeitsgestaltung. Kurzfristig vom Präsenztermin auf Online Termin umschwenken, wenn Kinder krank sind. Dass der Arbeitgeber bzw. die handelnden Personen akzeptieren, dass man nicht rund um die Uhr erreichbar ist und es noch ein Leben neben nach der Arbeit gibt. Meine Familie! Familienzeit! Zum Beispiel keine Meetings mehr ab 18 Uhr.

 

Das größte Problem ist die Betreuungssituation von Tagesmutter, Kita und Kindergärten. Alleine 65 Familien haben bei uns in der Gemeinde keinen Betreuungsplatz bekommen. Wir hatten jetzt Glück, dass wir noch nachrücken konnten.

Arbeitgeber sollten hier für Ihre Mitarbeiter Kooperationen mit Kitas oder Kindergärten eingehen. Ansonsten hat die Familie ein großes Problem.

Was mir bereits mitgeteilt wurde, hat man als Familie, bei denen beide Eltern berufstätig sind, ab Schulbeginn ein weitaus größeres Problem. 4 x Mal in der Woche endet die Schule um 11.15 Uhr und 1 x um 12.00 Uhr.

Wie sollen beide hier noch Ihrer Tätigkeit nachgehen? Muss die Mutter wieder Ihren Job aufgeben? Ich erwarte mir hier auch Lösungen.

 

Du bist aktuell in Elternzeit. Ist Dein Wunsch auf Akzeptanz gestoßen oder gab es Hürden?

Es gab sehr positive Reaktionen. Bei meiner ersten Elternzeit bei meiner Tochter wurde dies allerdings auch teilweise belächelt, wie ein Mann in „Mutterschutz“ gehen kann. Meiner Meinung nach waren sie nur eifersüchtig, da es dies bei Ihnen nicht gegeben hat.

 

Ganz provokant gefragt: könnte eine Auszeit für die Familie, sei es Elternzeit, Betreuung Angehöriger etc., ein Karrierekiller sein?

Das kommt meiner Meinung auf die Unternehmenskultur bzw. auf die handelnden Personen an. Ich habe das selbst schon erlebt, dass ich bei einigen Personen auf Unverständnis gestoßen bin, als ich Termine abgelehnt habe, weil ich auf meine Tochter aufgepasst habe. Bei einer vertrauensvollen Arbeitsatmosphäre gehört für mich eine offene und transparente Kommunikation dazu.

 

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